Wenn das Editorial einer renommierten Wissenschaftszeitschrift zum Weckruf für Content Creator wird
Als ich kürzlich durch den geschätzten Kollegen Kai auf das Editorial „Writing is thinking“ in Nature Reviews Bioengineering stiess, wurde mir (wieder) schlagartig bewusst: Was die Herausgeber dort über wissenschaftliches Schreiben formulieren, gilt 1:1 für unsere tägliche Arbeit im Rahmen der (textlichen) Contenterstellung. Die Parallelen zwischen wissenschaftlicher Publikation und digitaler Inhaltserstellung sind verblüffend – und alarmierend zugleich.
Das Problem: Prompting als neue „Denkarbeit“?
Das Editorial trifft den Nagel auf den Kopf, wenn es feststellt: „Schreiben zwingt uns zum Denken – nicht auf die chaotische, nichtlineare Art, wie unsere Gedanken normalerweise wandern, sondern auf eine strukturierte, zielgerichtete Weise.“ Genau diese strukturierte Denkarbeit sehe ich in der aktuellen Content-Landschaft zunehmend ins Hintertreffen geraten.
Beobachten Sie einmal aufmerksam die Inhalte in Ihrem Feed: Viele Texte wirken glatt, fast überprofessionell und oft aber einhergehend oberflächlich. Grammatisch korrekt, aber ohne erkennbare Tiefe. Der Grund ist oft simpel: Der Hauptaufwand floss ins Prompting, danach wurde der Output der KI ungeprüft oder mit einem wieder oberflächlichem „Finetuning“ übernommen. Das Denken wurde an die Maschine delegiert.
Die Wissenschaft als Spiegel für Content Marketing
Nature Reviews Bioengineering formuliert klar: „Es könnte schwieriger und zeitaufwändiger sein, einen LLM-generierten Text zu bearbeiten, als einen Artikel von Grund auf zu schreiben, teilweise weil man die Argumentation verstehen muss, um sie bearbeiten zu können.“
Ja, ich weiß, dass da draußen insbesondere die Fraktion der „schnell-und-hektich-reich-werden“-KI-Super-Power-Dienstleister vehement widersprechen. Müssen sie ja auch. Trotzdem:
Diese Erkenntnis ist Gold wert für jeden Content Creator. Wer KI-generierten Text wirklich verbessern will bzw. wer meint primär mit KI Content zu generieren, muss:
- Die zugrundeliegende Logik verstehen – nicht nur oberflächlich korrigieren
- Eigene Expertise einbringen – sonst bleibt es bei generischen Aussagen (und mangelnden SEO-Erfolgen)
- Kritisch hinterfragen – wo sind Schwachstellen, Ungenauigkeiten, fehlende Nuancen?
KI als Assistent, nicht als Autor
Das Editorial macht eine wichtige Unterscheidung: „LLMs gelten nicht als Autoren, da ihnen die Verantwortlichkeit fehlt.„ Übertragen auf unser Feld bedeutet das: KI kann nicht die Verantwortung für Ihre Markenaussagen übernehmen. Und die Betonung liegt hier auf übernehmen! Denn natürlich kann sie unterstützen.
Wo KI wirklich wertvoll ist:
- Überwindung von Schreibblockaden – erste Impulse und Strukturhilfen
- Sprachliche Verbesserungen – Grammatik, Stil, Lesbarkeit
- Recherche-Unterstützung – Sammlung und erste Sortierung von Informationen
- Ideenfindung – Brainstorming und neue Perspektiven
Wo KI an ihre Grenzen stößt:
- Strategische Positionierung – Ihre einzigartige Markenaussage
- Branchenspezifische Tiefe – Nuancen, die nur Experten kennen
- Emotionale Authentizität – echte Verbindung zur Zielgruppe
- Verantwortliche Kommunikation – rechtliche und ethische Aspekte
Der Unterschied zwischen Content und Massencontent
„Dennoch könnte die vollständige Auslagerung des Schreibprozesses an LLMs uns der Gelegenheit berauben, über unser Fachgebiet zu reflektieren“, warnt das Editorial. Genau hier liegt der Kern des Problems in der Content-Erstellung.
Erkennungsmerkmale von unreflektiertem KI-Content:
- Generische Phrasen ohne oder mit schnell als oberflächlich zu erkennenden Bezug zur spezifischen Branche
- Oberflächliche Behandlung komplexer Themen
- Fehlende persönliche Insights oder Erfahrungen
- Standardstrukturen ohne inhaltliche Begründung
- Oftmals mangelnde Verbindung zwischen Überschrift und Kernaussage
Merkmale von durchdachtem, KI-unterstütztem Content:
- Klare Positionierung und erkennbare Expertise
- Spezifische Beispiele aus der Praxis
- Weiterführende Gedanken über das Offensichtliche hinaus
- Authentische Meinungen und begründete Standpunkte
- Strukturierte Argumentation mit rotem Faden
Warum „KI-Können“ allein nicht reicht
Ähnlich wie in unserem Artikel über SEO im KI-Zeitalter argumentiert haben: Erfahrung und Grundlagenwissen sind durch nichts zu ersetzen. Ein „KI-Content-Spezialist“ ohne tiefes Verständnis für Markenführung, Zielgruppenpsychologie und Kommunikationsstrategie ist wie ein Automechaniker ohne KFZ-Ausbildung.
Die Balance finden: KI als Sparringspartner
Das Ziel ist nicht, KI zu verteufeln, sondern sie richtig einzusetzen. KI als Sparringspartner für Ihre Gedanken, nicht als Ersatz für Ihr Denken.
Praktische Anwendung in 4 Schritten:
- Strategie und Positionierung entwickeln (menschlich; ja, wir wissen, auch das soll die KI stemmen. Ob „sie“ das wirklich schon tut…!?)
- Erste Entwürfe und Strukturen erstellen lassen (KI-unterstützt)
- Kritische Überarbeitung und Vertiefung (menschlich)
- Finale Optimierung und Qualitätskontrolle (hybrid)
Der Wert des kritischen Denkens
Nature Reviews Bioengineering betont: „LLM-generierte Texte müssen gründlich überprüft und verifiziert werden.“ Diese Verantwortung liegt beim Menschen. Wer diese Kontrolle nicht ausübt, produziert Massencontent.
Die entscheidenden Fragen bei jedem Text:
- Stimmt das, was hier steht?
- Ist es relevant für meine Zielgruppe?
- Bringt es neue Erkenntnisse oder nur bekannte Fakten?
- Spiegelt es meine Markenpositionierung wider?
- Würde ich dafür die Verantwortung übernehmen?
Die finale Überraschung: Denken bleibt unverzichtbar
Das Editorial schließt mit dem Appell: „Dies ist ein Aufruf, die Bedeutung menschlich verfasster wissenschaftlicher Texte weiterhin anzuerkennen.“
Übertragen auf unser Feld: Dies ist ein Aufruf, die Bedeutung durchdachter, reflektierter Content-Erstellung anzuerkennen.
KI ist da und wird nie mehr verschwinden, im Gegenteil – und das ist gut so. Aber der Unterschied zwischen austauschbarem Massencontent und wertvollen, relevanten Inhalten liegt in der menschlichen Reflexion. Schreiben ist Denken – und Denken kann man nicht outsourcen (Welcher (Quanten-)Computer mag jemals ein menschliches Gehirn ERSETZEN, nicht nachahmen!?).
Wer glaubt, mit reinem KI-Output punkten zu können, wird morgen in der Masse der Beliebigkeit untergehen. Klar, es mag viele Beispiele geben, die glauben machen, das träfe nicht zu. Aber dafür sind wir schon zu lange in der SEO-Branche, als dass wir es nicht abwarten könnten, bis diese Stimmen überwiegend verstummen.
Die Zukunft gehört denen, die KI als das nutzen, was sie ist: Ein mächtiges Werkzeug in den Händen denkender Menschen.
